Jenny Weggen
Im Rahmen meiner Promotion am Institut für Soziologie an der Universität Hamburg ver-brachte ich einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt an der Business School der University of Queensland in Brisbane, Australien. Für die dortige Graduate School bot ich ein Seminar mit drei Workshops zur Methode der Dialogischen Introspektion an und habe in diesem Kontext verschiedene Erfahrungen und Beobachtungen zum Umgang mit der Methode und zu ihrer Wirkung machen können. Darüber hinaus habe ich Feedback zur Methode erhalten. Außerdem referierte ich im Rahmen des 6. „Asia-Pacific Symposium on Emotions in Worklife“ am 18. November in Adelaide in einem mündlichen Vortrag über die Dialogische Introspektion. Der folgende Bericht beruht auf meinen persönlichen Erfahrungen und Eindrücken, die ich bei der Diskussion in den Workshops und im Gespräch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Australien gewinnen konnte. Er ist nicht als wissenschaftlicher Bericht zu verstehen, da er nicht auf Daten beruht die mithilfe eines methodischen Vorgehens gewonnen wurden, sondern subjektive Eindrücke wiedergibt.
Wenn man die aktuellen englischsprachigen Publikationen der Management Studies in Australien und anderer Länder sichtet und bei Konferenzen Kenntnis über derzeit stattfindende Forschungsprojekte erlangt, fällt auf, dass ein Großteil der Forschung auf quantitativen Methoden beruht. Gelegentlich stößt man auf Mixed-Method-Designs aber noch seltener auf Forschungsprojekte, die rein qualitativ durchgeführt werden. Nichts desto trotz ist mir in persönlichen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der Management Studies, die selbst größtenteils den Hintergrund einer psychologischen Ausbildung vorweisen, ein großes Interesse an qualitativen Methoden begegnet. Sie betonten darüber hinaus häufig die Notwendigkeit, die Management Studies weiter für die Verwendung qualitativer Methoden zu öffnen, um sich den bearbeiteten Themenbereichen - vor allem der Forschung zu Emotionen in Organisationen - aus einem neuen methodologischen Blickwinkel zu nähern.
Im zweiten Workshop meines Seminars fand unter meiner Leitung eine Dialogische Intro-spektion zum Thema einer „besonderen Begegnung“ („a special encounter“) in der Gruppe statt. Neben mir nahmen zehn weitere Personen teil, alles Akademikerinnen und Akademiker die an Universitäten arbeiten. Wir waren acht Frauen und drei Männer. Darunter waren drei Indonesier (ein Mann und zwei Frauen), eine Amerikanerin (die seit langer Zeit in Australien lebt), eine Japanerin und fünf Australier (drei Frauen und zwei Männer). Die Altersspanne bewegte sich zwischen ca. 30 und 60 Jahren. Die Gruppe war somit vom Alter und von der Herkunft her recht heterogen. Wir führten die Introspektion auf Englisch durch, was insofern eine Besonderheit des Experimentes darstellte, da die Gruppe aus Personen bestand, bei denen Englisch die Muttersprache darstellt und aus anderen, die mit anderen Sprachen aufwuchsen. Daraus ergibt sich ein unterschiedliches Kenntnisniveau der englischen Sprache.
Aufgrund der kulturell diversen Zusammensetzung der Gruppe, war ich sehr interessiert, wie sich diese auf die Durchführung der Dialogischen Introspektion auswirken würde. Insgesamt ist festzustellen, dass bei allen Teilnehmenden eine hohe Bereitschaft zur Offenheit in Bezug auf das Mitteilen ihres Erlebens vorhanden war – unabhängig vom kulturellen Hintergrund. Außer mir und den Indonesierinnen und dem Indonesier lebten alle Beteiligten schon viele Jahre in Australien oder sind dort aufgewachsen. Die Japanerin ging in ihrem Introspektionsbericht auf kulturelle Unterschiede zwischen Japan und Australien ein und beschrieb sich selbst als untypische Japanerin, da sie ihre Emotionen offen darstellt und mitteilt. Die Indonesierinnen und der Indonesier berichteten, dass Indonesierinnen und Indonesier generell gerne „tratschen“, sie gingen somit davon aus, dass in ihrem Kulturkreis eine Offenheit bezüglich der Schilderung von Erleben vorhanden sei. Mir wurde berichtet, dass in den einzelnen asiatischen Ländern große Unterschiede vorhanden seien, die eigenen Emotionen mitzuteilen.
Das Transkript macht deutlich, dass Unterschiede bei den Berichten in Bezug auf Länge und Sprachvariation bestehen. Dies ist allerdings vermutlich in erster Linie auf die unterschiedlichen Niveaus in der Sprachkompetenz zurückzuführen. Welche Rolle der verschiedene kulturelle Hintergrund spielt, lässt sich nicht bestimmen. Die Berichte der Muttersprachlerinnen und Muttersprachler sind generell länger und zeichnen sich durch eine größere Variation von beschreibenden Adjektiven aus. Die Nichtmuttersprachlerinnen und Nichtmuttersprachler verwendeten hingegen wiederholt die gleichen Wörter zur Beschreibung der begegneten Person. Darüber hinaus haben die indonesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der zweiten Runde nicht erneut über ihr Erleben der Begegnung gesprochen, sondern über ihr Empfinden der Introspektionssituation. Ich vermute, dass dies auf Sprachschwierigkeiten zurückzuführen ist und die Aufgabenstellung nicht gänzlich korrekt verstanden worden ist. Von Vorteil war vermutlich, dass das Thema der Dialogischen Introspektion vor dem Workshop bekannt war, so hatten alle Teilnehmenden die Möglichkeit sich ausreichend vorzubereiten, ebenfalls in Bezug auf notwendiges Vokabular. Mindestens zwei Teilnehmenden (mit der englischen Sprache als Muttersprache) war die Fragestellung allerdings im Vorfeld nicht bekannt, da sie spontan am Workshop teilnahmen, in den Introspektionsberichten lassen sich darauf allerdings keine Hinweise finden.
Die Teilnehmenden gaben durchweg ein positives Feedback auf die Durchführung der Dialogische Introspektion. Vor allem wurden positive gruppendynamische Effekte benannt, indem eine Beförderung des Gruppenzusammenhangs betont wurde. Der Eindruck wurde geschildert, die anderen Teilnehmenden nun besser zu kennen, nachdem persönlich be-deutende Erlebnisse von den anderen erzählt wurden und auch selbst mitgeteilt wurden.
Im dritten Workshop diskutierten wir die Methode, ihre Wahrnehmung während des Expe-riments und ihre methodologischen Vor- und Nachteile. Beim Austausch zur Methode standen drei Punkte im Fokus:
a) Es wurde die Frage aufgeworfen, worin der Unterschied zur Anwendung von Gruppen-therapien bestünde. Ich habe ausgeführt, dass das Ziel ein anderes sei: nicht die Behandlung von Patienten, sondern die Erhebung von Datenmaterial durch die Innenschau. Nichts desto trotz ist der Hinweis beachtenswert, dass die Situation der Erhebung eine Ähnliche sei.
b) Ethische Bedenken wurden aufgeworfen. Vor allem bestanden diese darin, dass die Teilnehmenden nach der Experimentsituation mit ihrem Erleben alleine wären. Vergangenes emotionales Erleben würde nacherlebt und somit reaktiviert, es sei deshalb wichtig, die Teilnehmenden im Vorfeld darauf vorzubereiten und eventuell im Nachhinein zu betreuen. In Australien müssten Forschungsvorhaben bei einer Ethikkommission eingereicht und genehmigt werden. Es bestanden Bedenken, dass es damit Schwierigkeiten geben könnte. Der Hinweis an die Teilnehmenden auf das Erleben während der Experimentssituation – beziehungsweise auf das Nachfühlen von bereits Erlebten und den damit verbundenen Emotionen – wurde als Lösungsmöglichkeit angedacht. Sinnvoll erschien auch das Angebot einer Nachbetreuung der Teilnehmenden. Um die Methode auch in Australien weiter zu verbreiten wäre eine Publikation sinnvoll, die auf ethisch bedeutsame Implikationen der Methode eingeht.
c) Die Gruppe hatte darüber hinaus großes Interesse daran, die Rolle des Forschers in der Erhebungssituation zu beleuchten: Wann sei es ratsam am Experiment selbst teilzunehmen und wann nicht? Ich habe ausgeführt, dass es generell sinnvoll sei, wenn die For-schungsperson inhaltlich etwas in Bezug auf den Forschungsgegenstand aus eigener Er-fahrung beizutragen hat. Es könnte allerdings zu Problemen kommen, wenn bereits um-fangreiches Datenmaterial analysiert wurde und die Forschungsperson aufgrund dessen (unbewusst) versuche, die Beiträge der anderen in eine bestimmte Richtung zu lenken um die bisherigen Analyseergebnisse zu verifizieren. Beim Experiment das im Workshop durchgeführt wurde habe ich selbst teilgenommen und mit meinem Bericht begonnen. Die Teilnehmenden haben dies als positiv empfunden und beschrieben, dass es zu ihrer eigenen Bereitschaft zur Offenheit beigetragen hat.