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Introspektion bei der Rezeption eines Kurzfilms

Thomas Burkart & Monika Wilhelm

In mehreren Experimenten wurde die Rezeption von Filmen und Fernsehsendungen mit der Methode der gruppengestützten dialogischen Introspektion untersucht (Kleining 1999, Kleining & Witt 2000). Gegenstand des hier beschriebenen Experiments ist die Introspektion des Erlebens bei der Rezeption eines Kurzfilms. Einleitend wird die Methodik geschildert. Der Darstellung der Analyseergebnisse folgt eine Diskussion der Relevanz der Untersuchung.

Methodik

TeilnehmerInnen (Tn) des Experiments waren drei Frauen und sechs Männer (alle Mitglieder der Introspektionswerkstatt an der Universität Hamburg) sowie ein Versuchsleiter, der die Filmauswahl vornahm, den Versuch durchführte und während der Filmvorführung und der anschließenden Dokumentation der Introspektionen beobachtete. Nach kurzen Hinweisen zum Film (seiner Dauer, seinem Regisseur) wurde folgende Instruktion gegeben:

"Seien Sie aufmerksam für all das, was während des Films in Ihnen vorgeht, Ihre Gedanken, Phantasien, Ihre Empfindungen und Gefühle. Wenn Sie wollen, notieren Sie bereits während der Vorführung des Films Stichpunkte zu Ihren Erfahrungen."

Anschließend wurde der Kurzfilm "Landstraße" von F. Schwarz gezeigt. Dies ist ein 10minütiger Super-8-Film nach einer Erzählung von Middleton, der - abgesehen von zwei kürzeren farbigen Sequenzen - in schwarz-weiß gedreht ist. Der Film ist mehrdeutig und entzieht sich einem leichten Verständnis. Vom Regisseur liegt folgende Synopsis vor:

"Ein Landstreicher, irgendwo unterwegs, trifft auf einen, der wie er einer zu Fuß ist. Denselben Weg vor sich, beschließen sie, zusammen zu laufen. Etwas stimmt mit dem Hinzugekommenen nicht! Nach kurzer Zeit gemeinsamen, zeitlosen Laufens, bricht der Hinzugekommene zusammen und ... stirbt. Der Landstreicher ist wieder allein ... Bis er eine Figur, die an einem Baum lehnt, erkennt: Es ist der Verstorbene ... Beide setzen wortlos ihre gemeinsame, scheinbar ziellose Reise fort, irgendwo und irgendwann."

Alle Tn haben bereits während des Films stichpunktartig ihre Selbstbeobachtungen protokolliert, wobei erhebliche Unterschiede im Umfang des Protokollierens zu beobachten waren. Nach dem Film wurden die Tn gebeten, eine ausführliche schriftliche Dokumentation der Introspektion des Filmerlebens vorzunehmen, die bei allen Tn durch unterschiedlich lange Phasen des Nachdenkens unterbrochen wurde. Anschließend berichteten die Tn der Reihe nach und ohne Unterbrechung durch Nachfragen von ihrem Erleben während des Films in der Gruppe. Es schloss sich eine kurze Phase an, in der die Tn ihre Introspektionsberichte vervollständigten und reflektierten. Die Introspektionsberichte wurden auf Tonband aufgezeichnet und transkribiert. Dieses Transkript wurde einer Analyse auf Gemeinsamkeit unterzogen.

Ergebnisse

Die Tn waren in einer doppelten Zuschauer-/Beobachterrolle. Sie haben aus der Zuschauerperspektive - distanziert und nicht direkt beteiligt - einen vorgeführten Film mit fremdem, schwer verständlichem Inhalt rezipiert. Zugleich befanden sie sich selbst in einer ungewohnten, sich selbst beobachtenden (Beobachter-)Situation. In dieser doppelten Rolle finden sich zwei unterschiedliche Rezeptionsstile:

  • Die distanzierte Rezeption, bei der die Distanz zum Filmgeschehen aufrechterhalten oder wieder hergestellt wird;

  • die involvierte Rezeption, bei der die Distanz zum Geschehen im Film aufgehoben ist.

Beide Rezeptionsformen besitzen aktive und rezeptive Dialogqualitäten und sind mit dem Bemühen um Verstehen, um Sinnerkenntnis verbunden, die durch das Ziel bestimmt ist, das Fremde, Unverständliche in Vertrautes, Bekanntes einzuordnen.

1. Rezeptionsstile

Die Tn nehmen eine Haltung zum rezipierten Film ein, die entweder distanziert oder involviert ist und die seine Rezeption bestimmt.

Die distanzierte Rezeption ist beurteilend, wertend, wenig offen für die durch den Film bewirkten Gefühle und Stimmungen und zergliedernd.

Tn1: "Also der erste Eindruck war, daß es ein Kulturfilm ist offensichtlich. Ja und daß es [sic] schwarz-weiß ist und daß es [sic] Musik hat, und daß die Musik sehr laut ist und daß mich das etwas gestört hat. Der Ton war mir zu laut. Und dann hab ich aber gedacht, ich muss mich jetzt da reinfügen und einfühlen in das Ganze. Das ist mir aber schwer gefallen. Und dann hab ich das in der ersten Phase sehr distanziert angeguckt und hab den Eindruck gehabt, dass ich jetzt einen Kulturfilm beurteile. Und dann hab ich aber später bemerkt, das soll ich eigentlich nicht. Dann habe ich also versucht gegen diese, gegen dieses Verhalten anzugehen. Es ist aber immer wieder gekommen."

Die distanzierte Rezeption entsteht durch Irritation - von einem Tn als eine Art Widerwillen beschrieben, gegen den man sich schlecht wehren kann und der sich trotz des Bemühens um eine offene Rezeption durchsetzt.

Das Transkript ließ verschiedene Irritationsformen erkennen, die zur distanzierten Rezeption geführt haben:

  • Die Musik, die als zu laut, als aggressiv, als dramatisch empfunden wurde.

Tn2: "Dann war der Ton zu laut. Dann dachte ich die ganze Zeit, ob ich jetzt noch mal nachfrage, ob der Ton zu laut ist. Und dann habe ich gedacht, nee, das mache ich jetzt nicht. Das ist ja, dann störe ich die anderen, bringe ich sie raus. Und ich hatte mich, ich fühlte mich gestört. Ich fand den irgendwie stechend. Es sticht, habe ich mir aufgeschrieben."

Tn4: "Was ich mitgeschrieben habe war gleich: Ohne Musik wäre schöner, ist mir zu dramatisch. ... Die Musik nervt mich immer mehr. Zu viel Dramatik. Ist mir zu übertrieben, ...(unverständlich) zu hysterisch. ... Für mich ist so eine Essenz: Als Stummfilm könnte es gerade noch ertragen."

  • Eine unglaubwürdige Menschendarstellung (gespielt, nicht echt wirkend).

Tn7: "Und [habe] gemerkt, der soll einen Penner darstellen, jemand auf der Walz. Das ist aber nicht gelebt, sondern gespielt und dargestellt. ... Ich habe hier geschrieben, echte Penner sehen anders aus."

  • Die durch den Film ausgelösten unangenehm berührenden Erinnerungen (z.B. über Erfahrungen als Filmemacher, mit experimentellen Filmen).

Tn5: "Und das erinnerte mich an meine eigenen dilettantischen Super-8-Experimente. Da haben wir auch alles Mögliche aufgenommen. Und ich hatte in den 70er Jahren auch eine ganze Menge Experimente in der Art gesehen, in der Kunsthochschule. Und ich dachte schon damals, daß dies ziemlich mit Bedeutung aufgeladener Schotter ist und dilettantisch aufgemacht. Das habe ich schon immer gehaßt. Tut mir leid!

Tn5: "Der Film erinnerte mich an meine eigenen Filmversuche. Da waren wir fasziniert davon, die Kamera irgendwo hinzuhalten und drauf zu drücken. Das Ding ging los und dann konnte man es angucken und sagte: Mein Gott, das ist das, was Du gemacht hast (lachend)!"

  • Seine als manipulativ, belehrend, stilisiert emotional erlebte Wirkung.

Tn2: "Kommt mir so, dass ich, ähm schon länger irgendwie auf solche Filmsequenzen, die ich überhaupt nicht abkann. Wenn man irgendwo steht und über Musik und so was wird eine bestimmte Stimmung erzeugt. Das nervt mich einfach."

Tn1: "Diese romantische Darstellung des Landstreichers. Der dann auch mit einem anderen sich verbrüdert, ja das ist wie in einer Oper. Und, äh, diese pädagogische Absicht, dass man etwas lernen sollte über Landstreicher."

Die Distanzierung selbst erfolgte mit verschiedenen Distanzierungsstrategien:

  • Durch Abwertung (z.B. Tn5: "mit Bedeutung aufgeladener Schotter und dilettantisch aufgemacht").

  • Durch mentale Transformation des Gesehenen bei einer Tn, die die schwarz-weiß aufgenommenen Landschaftsbilder in ihrer Vorstellung grün eingefärbt hat.

  • Durch Veralbern (einer Trivialisierung des Sinns, der emotionalen Wirkung des Films).

Tn5: "Spontanassoziation: Werbung, irgendwo auf der Landstraße, aus den 20er Jahren. Wie er da ging, fiel mir die Tuborg-Reklame ein. Wie er so da auf der Straße entlang schlich. Und dann zog er die Zigarette und dann dachte ich: Ach ja, Zigarettenreklame, auch gut. Assoziation 'bedeutungsschwanger und Super-8-Film'".

Tn5: "Und dann hustet der Bärtige und bricht zusammen. Und dann fiel mir als Assoziation ein, Spontanassoziation: 'Smoking is not good to your health!' (Gelächter Gruppe)."

  • Durch Übertreibung (z.B. Feuer geben interpretiert als Unterstützungs-, Verbrüderungs-, Solidaritätsakt).

  • Durch Erinnerung an persönliche Distanzierungen.

Tn4: "Fühle mich gleichzeitig abgebrüht. Das berührt mich nicht. Das geht mir manchmal, ehrlich gesagt, auch mit Patienten. Der Zusammenbruch berührt mich nicht."

  • Durch Entdecken (Konstruieren) von Widersprüchen zwischen Darstellung und Realität (Tramps sehen anders aus, im Landstreicher-Milieu gibt es keine Solidarität, sondern Misstrauen).

Die involvierte Rezeption ist einlassend, mitschwingend, offen für die Sinneseindrücke und die durch den Film bewirkten Gefühle, Stimmungen, Assoziationen, auch wenn diese berührend sind oder wenn Filmsequenzen nicht sofort verstanden werden.

Tn6: "Ich habe eigentlich gar nicht so darüber nachgedacht, ob ich das gut oder schlecht finde. Ich war eigentlich, als ich den Film sah, nur so meinen Sinneseindrücken gefolgt und habe mich einfach von den Bildern und der Musik tragen lassen, ohne dabei darüber nachzudenken."

Tn6: "Und die Bilder haben mich zunächst ein bisschen verwirrt, weil ich irgendwie dachte, das ist Sommer, so von dem Licht her. Und dann war da aber so ein kahler Baum. Das habe ich gar nicht verstanden. Und ich habe auch die Worte nicht verstanden, die die gewechselt haben. Und habe aber gleichzeitig gemerkt, dass es gar nicht wichtig ist, die Worte zu verstehen, sondern den Ton. Und der war sympathisch. Und dann habe ich gedacht: Das stimmt ja, jetzt gehen die zusammen weg."

Die involvierte Rezeption führte zu ästhetischen Erfahrungen, die Sinnerkenntnis ermöglichten.

Tn6: "Ich fand die Musik schön. Die hat mir gefallen. Ein Gefühl, das so zwischen Melancholie und Freude liegt. Und fand das dann auch sehr interessant, wie dieser Rhythmus der Musik so mit den Schritten kombiniert war."

Tn9: "Und dann am Schluss war so ein Gegenlicht plötzlich. Also die Lichtverhältnisse waren völlig anders. Und dann habe ich gedacht, ist das jetzt 'ne Rückblende seines Lebens."

Der Entstehensprozess einer emotional offenen Rezeptionsweise wird von einem Tn beschrieben: Man wird angesprochen, man lässt sich ein und ist involviert.

Die Gefahr der involvierten Rezeption, ist die der Vereinnahmung durch den Film. Er kann bedeutsame und aufwühlende Assoziationen auslösen (Tod der Mutter, KZ) und kann deshalb schwer "zu verdauen" sein.

Tn9: "Und als er dann zu husten anfing, so habe ich dann auch so Assoziationen zu KZ gehabt. So dem Tode nahe sein. So nachher ist mir auch eingefallen, da schwang auch immer dieses Thema mit irgendwo. Meine Mutter ist vor 'nem Monat ungefähr gestorben. Und irgendwo dieser ganze Film hat davon, irgendwie etwas davon. Hatte ich so das Gefühl. Und deswegen auch die Assoziation KZ."

Tn9: "Also ich habe mich sehr schnell auf diesen Film eingelassen. Und habe so gemerkt ja, viele vor mir haben sich distanziert. Und ich weiß, dass mich insgesamt Filme äh. Ich kann immer nur ein Stück weit verdauen, weil ich sie sehr vereinnahmend finde, also generell. Ich find, also wenn ich einen Film gesehen habe, dann habe ich genug."

2. Rezeption als dialogischer Prozess

Bei beiden Rezeptionsstilen ist die Rezeption ein dialogischer Prozess mit aktiven und passiv/rezeptiven Qualitäten.

Die passiv/rezeptiven Dialogqualitäten bestehen darin, dass der Film fortlaufend Gefühle, Stimmungen, Assoziationen und Erinnerungen auslöst, die in Dialog treten mit der laufenden Filmsequenz. Auch Empfindungen werden durch den Film geändert (wie z.B. der Kopfschmerz der bei einem Tn im Verlauf der Rezeption verschwindet).

Tn5: "Spontanassoziation: Werbung, irgendwo auf der Landstraße, aus den 20er Jahren. Wie er da ging, fiel mir die Tuborg-Reklame ein. Wie er so da auf der Straße entlang schlich. Und dann zog er die Zigarette und dann dachte ich: Ach ja, Zigarettenreklame, auch gut."

Tn9: "Ich habe mich sehr schnell in diese emotionale Stimmung reinbegeben. Also ich hatte jetzt nicht so reflektiert, ist das ein guter Film oder nicht. Und habe dann immer so Stichpunkte während des Films aufgeschrieben, die ich nachher dann wirklich mir ergänzt hab. Und dann habe ich mir zuerst aufgeschrieben: Depressivität oder deprimierend oder Depr. [sic], ja so Depressivität tut es auch so, ist 'ne Schwere, ist anstrengend, so dann auch Einsamkeit."

Tn9: "Und als er dann zu husten anfing, so habe ich dann auch so Assoziationen zu KZ gehabt."

Tn4: "Kenn ich die Landschaft. Dann kamen Nachkriegsbilder, Fotos von meiner Mutter."

Aktive Dialogqualitäten zeigen sich in einer aktiven Haltung der Tn in ihrer Rezeption. Sie stellen sich Fragen, bilden Erwartungen, bearbeiten die Bilder des Films innerlich, bewerten und interpretieren seine Inhalte (seine Personen, das Geschehen, die Musik) und seine Form (seine Schnitte, der Wechsel zwischen Schwarz-weiß- und Farbpassagen) und die durch den Film bewirkten Assoziationen.

Tn7: "Am Anfang war ich sehr gespannt, was jetzt wohl kommt, gar nach dem Protokoll der letzten Sitzung."

Tn7: "Die Musik wurde sehr nervig, schrill, zu laut. Dann fragte ich mich, wer ist das jetzt eigentlich, der da gezeigt wird. Ich wollte einen Sinn für diese Hauptfigur, den Hauptdarsteller finden. ... Dann habe ich beobachtet, dass der Hauptdarsteller zu lange Haare hat, dass das für die 50er Jahre nicht in Frage kommt. Und gemerkt, der soll einen Penner darstellen, jemand auf der Walz. Das ist aber nicht gelebt, sondern gespielt und dargestellt."

Tn8: "Und habe dann gemerkt, dass der Film darin bestand, dass da jemand auf der Straße ging. Und dann kam mir die Idee, geht das jetzt die ganze Zeit so? ein bisschen langweilig. Äh (Lachen) hab dann überlegt, dass es vielleicht irgendwie eine Allegorie sein soll, auf das menschliche Leben: Langeweile, Wichtigkeit, Mann auf seinem Weg. Genau, einsam und alleine gehen oder so was, habe ich dann gedacht. Und dann wurde ich aus diesem Gedanken rausgerissen, als es zu dieser Begegnung kam. Was dem dann ja widersprach, meiner Theorie, über die Botschaft des Films."

Tn9: "Und ich habe mich dann gefragt, soll das jetzt ein Mann oder eine Frau sein. Und dann kurze Zeit später war das dann zu erkennen."

Tn9: "Und hatte dann auch so Assoziationen, ja Krieg, Gefängnis. Und als der andere Mann dann auftrat, so Kameradschaft. Und habe mir dann gedacht, was passiert jetzt, wenn die zusammen, was erleben die jetzt. Ichbin gespannt, was da jetzt passiert. Und hab dann festgestellt, zur Zeit liefen sie in einem anderen Schritttempo."

Tn3: "...dass ich so registriert habe, was da jetzt abläuft, was ich beobachtet habe und was der Film für ein Material hat, dass er Flecken hat, dass die Übergänge schlecht ausgeleuchtet sind oder dass Streifen im Film. Habe mir überlegt, na vielleicht ist es ein Stilmittel."

Tn4: "Die Landschaft ist schön. Ich male mir sie selber grün an."

3. Rezeption als aktive Sinnsuche

Bei allen Tn ist die aktive Suche nach Sinn, das Verstehen des Films ein Ziel. Ein Tn fragt sich, wie der Film auf ihn wirkt, wie der Film wohl entstanden ist, welche Aufgabe ihm wohl zugrunde lag. Ein anderer fühlt sich bei der Rezeption wie auf der Lauer nach einem Sinn. Andere Tn sind stolz, den Film durchschaut zu haben, einen "Sinn daraus gemacht" zu haben.

Tn 6: "Und im Nachdenken darüber habe ich dann noch mal versucht die Bedeutung des Films zu verstehen. Dies ist mir ganz schwer gefallen. Ich habe immer wieder drum gekreist, was ist eigentlich die Aussage dieses Films. Und bin dann von diesem Denken, wo ich nicht weiter kam, nochmals so ein bisschen zurück in die Bilder des Films, habe über die Beziehung zwischen den beiden Männer nachgedacht und warum wir eigentlich diesen Film jetzt hier sehen sollten. Vielleicht auch als Rückmeldung für den Autor. Oder, ich dachte auf einmal, wenn da so eine Beziehung ist, dass dann vielleicht auch wichtig ist. Und auch der Autor vielleicht eine Beziehung zu dem Hauptdarsteller hatte, ob das Freunde sind. Was dieser Dunkle da eigentlich für eine Rolle hatte, ob das so ein böses Alter Ego ist oder so. Und lies dann die Szenen nochmals vorbeiziehen und konnte mir eigentlich gar keinen Reim auf den Film machen. Aber mir wurde auch bewusst, das ist auch nicht das Ziel."

Das Bemühen, den Film zu verstehen, wird als eine Art Aneignungsprozess erkennbar. Der Film wird angeeignet über eine Verbindung mit persönlichen Erfahrungen (Kindheitserfahrungen, Tod der Mutter, Filme, die gesehen wurden, eigene Filmproduktionen). Der Film wird mit bekannten Konzepten verglichen (z.B. Kulturfilm, "idyllisierende heile-Welt-Darstellung"), in Vorhandenes eingepasst, wobei dies z.T. nur möglich ist, indem die Filminhalte bearbeitet werden (z.B. übertrieben charakterisiert).Der Aneignungsprozess kann auch in umgekehrter Richtung verlaufen. Das, was im Film nicht nachvollzogen werden kann, wird als fremd und schwer verständlich abgelehnt.

Diskussion

Wesentliches Ergebnis des Experiments ist, dass der Rezeptionsprozess per Introspektion untersucht werden kann. Die Tn fühlten sich durch die Introspektionsaufgabe nicht in ihrer Filmrezeption gestört. Den Tn war es möglich, gleichzeitig einen Film anzuschauen, sich selbst bei der Rezeption zu beobachten und diese Beobachtungen während der Filmvorführung stichpunktartig und anschließend ausführlicher zu dokumentieren. Die gruppengestützte Introspektion ermöglicht außerdem eine Vervollständigung des zunächst dokumentierten Filmerlebens.Im Vergleich zur Befragung über einen Film sind mit der Introspektion wesentlich differenzierte Daten gerade auch über den Verlauf des Filmerlebens zugänglich, so dass diese Methode in besonderer Weise geeignet erscheint, den Rezeptionsprozess zu untersuchen.

In diesem Experiment, aber auch in den anderen Introspektionsexperimenten zur Film- und Fernsehrezeption wurde deutlich, dass sich Rezeption nicht als passive, reaktive Aufnahme eines vorgeführten Geschehens kennzeichnen lässt, wie das klassische asymmetrische Sender-Empfänger-Modell der Kommunikationsforschung (Shannon & Weaver 1949) nahelegt. Rezeption beinhaltet vielmehr einen komplexen dialogischen Prozess, in dem der Rezipient sich aktiv mit den Filminhalten und den durch den Film ausgelösten Assoziationen beschäftigt.

Ob die Ergebnisse dieser Introspektion, die mit einer Gruppe Wissenschaftler durchgeführt wurde, insbesondere die Rezeptionsstile der distanzierten und involvierten Rezeption, aber auch die des dialogischen Ablaufs, eine größere Reichweite besitzen und eventuell allgemein die Rezeptionsmodi von Spielfilmen oder gar von sonstigen Rezeptionsgegenständen kennzeichnen, ist plausibel, muss aber durch weitere Forschung geklärt werden. Dabei sollten bei heuristischem Forschungsvorgehen maximal strukturell variierte Daten berücksichtigt werden (andersartige Rezipienten, andersartige Filme und Rezeptionsgegenstände).

Literatur

Kleining, G. (1999). Vorschlag zur Neubestimmung: Dialogische Introspektion. Journal für Psychologie, 7, 2, 17-19.

Kleining, G. & Witt, H. (2000). Qualitativ-heuristische Forschung als Entdeckungsmethodologie für Psychologie und Sozialwissenschaften: Die Wiederentdeckung der Methode der Introspektion als Beispiel. In: K. Mruck, J. Bergold, F. Breuer & H. Legewie (Hrsg.). Qualitative Sozialforschung: Nationale, disziplinäre, methodische und empirische Beispiele, http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/1-00/1-00kleiningwitt-d.htm# (15.05.00)

Shannon, C. E. & Weaver, W. (. (1949). The Mathematical Theory of Communication. Urbana: University of Illinois Press.Shannon, C. E. & Weaver, W. (. (1949). The Mathematical Theory of Communication. Urbana: University of Illinois Press.